Zur Zeit spielt sich eine wahre Provinzposse in Eimsbüttel um Tempo 30 im Eppendorfer Weg ab. Die Linkspartei Bezirks-Abgeordneten Jürgen Kahlert und Peter Gutzeit haben am 31. März 2016 in der Bezirksversammlung Eimsbüttel einen Antrag eingebracht, der genau dies forderte. In der Bezirksversammlung wurde er von der rotgrünen Regierungskoalition abgelehnt und stattdessen in den Kerngebietsausschuss verwiesen, wo er am 4.4. nochmals von rotgrün abgelehnt wurde. Wie kann es sein, dass eine Partei wie die Grünen, die für sich den Anspruch erhebt, Hamburg zur Fahrradstadt zu machen, solch ein Ansinnen ablehnt?
Aus dem Bundesverkehrsministerium ließ Minister Dobrindt kürzlich verlauten, dass es Kommunen zukünftig einfacher gemacht werden soll, vor allem vor Kitas, Schulen und ähnlichen Einrichtungen, Tempo 30 anzuordnen (Pressemitteilung Bundesverkehrsministerium, “Es muss nicht erst Tote geben”, taz, 18. Februar 2016 ). Darüber gab es hier ebenfalls einen Beitrag („Tempo 30 für ganz Eimsbüttel“). Auf diese Ankündigung bezog sich auch der Antrag der LINKEN Lokalpolitiker. Folgerichtig listet der Antrag denn auch ganze 16 Einrichtungen für Kinder auf dem etwa 1,5 Km langen Eppendorfer Weg-Abschnitt auf, der durch Eimsbütteler Territorium führt und fordert der einfachheithalber gleich durchgängig Tempo 30.
Abgelehnt wurde das Ansinnen von den GRÜNEN offenbar, weil sich dieser Antrag eben nur auf „Ankündigungen“ von Gesetzen berufen würde, die vielleicht irgendwann mal kommen. Solange diese in der STVO nicht in Gesetz gegossen sind, könne man einen derartigen Antrag leider nicht unterstützen. Amen.
Irgendwas stimmt da nicht.
Seit Jahren versuchen auch die GRÜNEN, mehr Tempo 30 einzurichten. Mehrere Anträge wurden von der Straßenverkehrsbehörde, im Hamburger Fall die Polizei, abgelehnt. Typische Begründungen dafür sind dann z.B. folgende: Es gebe keine Verkehrssicherheitsdefizite, es sei eine wichtige Verbindungsstraße, Tempo 30 könne es „nur räumlich begrenzt“ geben, „Empfehlung für Tempo 30 liegt nicht vor“ usw. usf.. Die Grünen haben längst selbst kapiert, wie betonköpfig die Hamburger SPD ist und haben scheinbar keinen Plan, wie eine längst überfällige Einrichtung sonst gelingen könnte. Dies als Fakt zu bejammern und gleichzeitig einen Antrag, wie ihn nun die LINKEN eingebracht haben und der immerhin das Ziel hat, die Verkehrsbehörde vielleicht irgendwann einfach zu zermürben, nicht zu unterstützen, ist schon wirklich arm. Gerade von den GRÜNEN, die aus eigener Geschichte besser wissen sollten, dass Gesetze eben oft erst kommen, nachdem genügend Druck aufgebaut wurde – woher und wie auch immer, dürfte man da mehr erwarten.
Dabei gibt es eine ganze Armada von Punkten, die geeignet sind, als Argumente Pro Tempo 30 eingebracht zu werden:
- Im Eppendorfer Weg gab es seit 2000 im Jahresschnitt 164 Unfälle, dabei gab es 314 Leichtverletzte, 39 Schwerverletzte und 2 Tote zu beklagen. Für die Polizei, weil gerade in dieser Straße die Tendenz sinkend ist, Grund genug, nichts zu unternehmen. Für viele zeugen die Werte hingegen davon, dass eine Unfallopferzahl nahe Null noch in weiter Ferne liegt. Zudem bretterten laut Geschwindigkeitsmessungen 2015 über 9% der Autos mit über 50 Km/h durch die Straße. (siehe Drucksache – 20-1434)
- In Eimsbüttel haben die Unfälle von 2014 auf 2015 um 4,8% zugenommen. 2014 gab es 9200 Unfälle, 2015 knapp 9650. Dabei waren 2015 die Radfahrer mit 36 Beteiligten die größte Opfergruppe, gefolgt von 30 PKW-Fahrern und 21 Fußgängern. Wem es dabei am meisten „weh“ getan hat, kann man sich denken. (siehe Drucksache 21/2968)
- In vielen anderen Städten geht schon heute deutlich mehr Tempo 30, nicht nur auch auf Hauptstraßen sondern teilweise sogar flächendeckend. Bad Wörishofen führt dafür zur Zeit einen Rechtsstreit um nachzuhelfen (Trendsetter Tempo 30). Hamburg ist piefiges Mittelfeld. Das Beste daran: Hier hält sich eh fast kein Mensch daran. Andere Städte wie Berlin und Hull in England kommen da auf 80% bzw. 90% Einhaltungswerte. (siehe Tempo 30 in der Realität – und jetzt?)
- Es gibt eine parallel verlaufende Hauptverkehrsstraße, sie nennt sich Ring 2, das scheint allen Beteiligten offenbar bisher vollends entgangen zu sein.
- Unfallschwere wird stark verringert – Sicherheit steigt. Erwiesene Sache.
- VCD setzt sich dafür ein („Tempo 30 muss Regel statt Ausnahme werden„), der adfc auch („ADFC unterstützt Länderinitiative für Tempo 30„).
- Es gibt einen Unterschied zwischen Tempo 30 ZONE und nur Tempo 30. Wenn Zone wegen Geschäftsstraße dort nicht gehen sollte, dann doch wohl zumindest die reine Geschwindigkeitsbeschränkung auf Tempo 30.
- Zonen sind erstes Mittel in Wohngebieten. Im Eppendorfer Weg wohnen doch überall Menschen?!?
- Es führt keine Buslinie durch den fraglichen Eimsbütteler Abschnitt
- Es gibt Tempo 30 Abschnitte auf der Stresemann Straße. Bundesstraße. Oberhauptverkehrsstraße. Gilt seit Jahren. Es gab aber auch Protest mit Mitteln des zivilen Ungehorsams. Wollen die GRÜNEN sich nun illegal auf den Eppendorfer Weg setzen?
- Auf der Mö gilt sogar nur Tempo 25!!!!!! Das gilt auch für Taxis. Dass dort kein MIV fahren darf, ist eine andere Sache.
- Was sagt das Klimabarometer? Was die Lärmmessungen?
- Und zu guter Letzt: Tempo 30 geht sogar im Eppendorfer Weg – leider nur im Hoheitsgebiet des Bezirks Nord. Warum?????
Nicht erst seit gestern scheint ganz offensichtlich zu sein, dass in Hamburg deshalb nichts Größeres voran geht, weil der Willkür der Polizei, die nach Gutsherrenart über Für und Wider entscheiden kann, Tür und Tor geöffnet sind. Es wäre nur ehrlich von den GRÜNEN, offen einzuräumen, dass es mit dieser SPD zu keinen nennenswerten Änderungen kommen wird. Es ist ja nicht so, dass gar nichts passiert, aber das, was passiert, ist oftmals nur halbgar geplant und umgesetzt. Bestes Beispiel ist die Fahrradstraße im Harvestehuder Weg.
Zur Zeit macht das „Bündnis für den Radverkehr„ die Runde durch die Bezirksregierungen. Alle sollen, ähnlich wie beim Bündnis für den Wohnungsbau, hinter dem stadtweiten Vorhaben stehen. Ein wesentlicher Punkt der grünen Fahrradstadt Hamburg sind die Radschnellwege, die in dieser Legislatur leider nur geplant werden sollen. Im Papier dazu heißt es auf Seite 9 unter „Radschnellwege“:
„Da auf Hamburger Stadtgebiet die Einrichtung von über mehrere Kilometer selbstständig und kreuzungsfrei geführten Radschnellwegen nur im Ausnahmefall möglich ist und weitgehend besiedelte Bereiche vorliegen, sind Ausbaustandards für „urbane Radschnellwege“ noch zu definieren.“
Man muss sich diesen einen Satz, an dem sich zeigen wird, wohin die Reise gehen wird, auf der Zunge zergehen lassen. Erstens die „mehrere Kilometer„. Das gleiche Problem gibt es in urbanen Gegenden schon innerhalb von Hundert Metern. Zweitens das Wörtchen „definieren„… Was will man da definieren, wenn selbst so etwas „kleines“ wie eine Verkehrsberuhigung im Eppendorfer Weg auf Eimsbüttels Seite nicht gelingt?
Das grüne Lieblingskind Fahrradstadt wird nur funktionieren, wenn der Umweltverbund, also sowohl das Fahrrad als auch der ÖPNV als auch der Fußgänger, massiv gefördert werden. Der beste Weg dahin führt über Tempo 30. Denke- und Weichenstellungen müssen auf allerhöchster Ebene passieren. Katharina Fegebank sollte ihrem Partner, der SPD, einige gewisse Dinge ins Ohr flüstern.
Ansonsten bleiben nur zwei Möglichkeiten: Den offenen Konflikt zu wagen und notfalls die Reißleine zu ziehen. Oder stillschweigend weiterzuwurschteln. Und darauf spekulieren, dass es irgendwann doch noch zu Tempo 30 kommen wird. Wenn es die nächsten Toten gibt. Der halbherzige Tempo 30 Abschnitt in der Bundesstraße macht die Hamburger, somit auch die GRÜNE Logik mehr als deutlich, die an Zynismus wohl kaum zu überbieten ist.
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weitere Infos zum Thema gibt es auf der Seite der europäischen Bürgerbewegung für Tempo 30 – sehr umfassend, mit gewaltigen Linksammlungen. http://de.30kmh.eu
Das Bundesumweltministerium ist da auch schon schon deutlich weiter. Im Oktober 2015 veröffentlichte es ein Papier mit Namen „Neues Zusammenleben in der Stadt„. Darin heißt es z.B.:
Für eine nachhaltige, klimagerechte Siedlungs- und Verkehrsentwicklung brauchen wir die kompakte und funktionsgemischte Stadt der kurzen Wege. In ihr sind die unterschiedlichen Verkehrsmittel integriert und intelligent verknüpft. Fußgänger- und Fahrradverkehr, die öffentlichen Verkehrsmittel und nachhaltiger Wirtschaftsverkehr müssen Vorrang genießen. Eine Stadt, in der das Auto zwar ein Verkehrsmittel unter vielen ist, aber nicht mehr eine dominante Rolle spielt, ist lebenswerter, umweltfreundlicher und schafft neue Flächen für Wohnraum und Erholung.
„30 reicht! – Die Verkhersini Eimsbüttel“ trifft sich demnächst wieder: 25. April, 19 Uhr, „Mathilde“ in der Bogenstraße 5. Komm‘ gerne vorbei!