Hamburg schreibt sich auf die Fahnen, Fahrradstadt zu werden. Zu sehen ist davon bisher recht wenig. Also lohnt es sich, den Blick mal über den elbhanseatischen Tellerand zu hieven und sich in unserer unmittelbaren Nachbarmetropolregion, der Öresundregion, umzuschauen. Kopenhagen ist fraglos „Hauptstadt“ dieser Region und wie alle wissen, Hamburg in Sachen Fahrradstadt um Lichtjahre voraus. Kein Wunder, gilt diese Stadt ohnehin als Fahrradmetropole Nummer eins – weltweit.
Aber zur Öresundregion gehört weit mehr als nur die dänische Kapitale mit der kleinen Meerjungfrau. Die Region erstreckt sich sowohl über Dänemark als auch über Schweden, weshalb Malmö, Schwedens drittgrößte Stadt und Helsingborg, achtgrößte und Skånes zweitgrößte Stadt ebenso zu dieser Metropolregion mit ihren knapp vier Millionen Einwohnern gehören. Helsingborg konnte ich mir neulich einmal genauer ansehen, ebenso wie Halmstad etwas weiter im Norden – und wähnte mich im Traumland.
Kommt man in Helsingborg am „Knutpunkten“, dem kombinierten Haupt- und Fährbahnhof, an, fallen hier sofort überdachte Fahrradabstellanlagen und eine tolle Fahrradinfrastruktur auf. Auf allen größeren Straßen im Innenstadtbereich gibt es eigene, vom Autoverkehr getrennte Radwege. Sicher und geschützt radelt es sich ohne weitere Hindernisse und überwiegend schön geradlinig durch die halbe City der 100.000 Einwohner-Stadt am Öresund.(siehe Fotos)
Ein ähnliches Bild bot sich in Halmstad. 80 Kilometer weiter nördlich, rund 60.000 Einwohner. Auch hier lässt man sich nicht lumpen, was vernünftige Radwege angeht, die, wie in Helsingborg, zusammen mit den Fußwegen auf einem Level liegen. Über querende Straßen geht’s beinahe durchgängig hinweg, selbst Kreuzungen im Tempo50 Bereich habe ich gesehen, auf denen dies der Fall ist. Wer hier Vorfahrt hat, ist klare Sache. Je weiter es aus dem Zentrum geht, je grüner es wird und mehr Platz vorhanden ist, desto breiter werden diese Wege, die dann vielfach auch völlig eigenständig nicht nur neben den Straßen verlaufen. Sicher, diese Wege weiter draußen sind auch für Fußgänger gedacht, aber da sie hier definitiv breit genug sind, dass sich kaum jemand in die Quere kommt, gibt’s nichts zu mäkeln. Hauptstraßen werden spielerisch in alle Richtungen untertunnelt, nichts hält einen auf, das Rad hat freien Lauf – Fahrradschnellwege at it’s best!
Woher nehmen sie hier den Platz? Einerseits haben sie ihn schlicht, das gilt vor allem für Stadtteile abseits der Zentren, andererseits wird er einfach gegeben. Sinnvolle Platzaufteilung des öffentlichen Raumes meint hier in sehr vielen Straßen, dass es schlicht keine öffentlichen Parkplätze am Straßenrand gibt. Eine Sache, die übrigens überall in den skandinavischen Ländern massiv ins Auge sticht. Die Leute parken in Garagen, auf ihren Grundstücken bzw. auf einer Art Quartiersparkplätzen. Am Straßenrand dagegen wird oftmals nur eine minimale Parkplatzanzahl vorgehalten. Das schafft Platz – und eine große Portion Sicherheit.
Hier erahnt man, dass eine gute Fahrradpolitik allein nicht alles ist. „Städte, die nett zu ihren Fußgängern sind, sind es in aller Regel auch für Radfahrer“, weiß Jan Gehl, einer der gefragtesten Stadtentwickler der heutigen Zeit, schon seit langem („Das Leben findet zwischen den Häusern statt“, Neue Zürcher Zeitung, 26. Juli 2016). In Helsingborg kann man das gut beobachten. Im Zentrum gibt es einige klassische (ältere) Fußgängerzonen , eine lange und neue „Promenade“ am Sundufer und neue bzw. umgestaltete und nun autofreie Plätze. Die Stadt baut sich um, auch das merkt man. Sackgassen sind dabei ein gängiges Mittel, um nicht nur Durchgangsverkehr zu blockieren, sondern im gleichen Zuge vermehrt weiteren Raum zu schaffen, urbanen Raum mit Wohfühlfaktor. Man mag immer lachen, meinen, dass man „so kleine Städte“ nicht mit großen vergleichen könne, aber der Schein trügt. Das Prinzip ist kleinteilig zu denken, zurück zum menschlichen Maß und den wahren menschlichen Bedürfnissen zu finden (Jan Gehl) – das geht überall, egal ob in Kleinstädten oder Megametropolen.
Um die Sache rund zu machen, darf ein effektiver und einladender ÖPNV natürlich nicht fehlen. Der „Öresundståg“, innen ein wahres Raumwunder, umrundet die gesamte Region beinahe im S-Bahn Takt, pendelt zwischen Helsingborg, Malmö, über die Brücke nach Kopenhagen und endet gegenüber im dänsichen Helsingør, von dem im 20 Minuten Takt die Fähren über den Sund zwischen den beiden „H“-Städten schippern. Wir sind zurück am „Knutpunkten“ in Helsingborg. Die Politik begreift Verkehr, Mobilität und Stadtplanung als ein gesamtes System, keines wird ausgesperrt, aber dennoch klar Prioritäten gesetzt und kommuniziert, wie dies unübersehbar Werbung für den Verkehrsverbund macht.

Schlaues und pfiffiges Marketing tragen das Ihre dazu bei. Dass z.B. Busfahren viel mehr ist, als schnöde zum Ziel zu kommen, dass Busfahren so richtig cool und hip ist, macht gerade der dänische Verbund „Midtrafik“ in seinem Werbespot vor. Fahrkarten existieren gefühlt nur noch als e-Tickets auf Smartphones, in Kopenhagen wird nur noch eine Chipkarte an ein Lesegerät gehalten – einmal beepen beim Einsteigen, einmal beim Aussteigen und Tarife, Zonen und pipapo sind Vergangenheit. So begeistert das über beide Länder übergreifende Verkehrssystem, schnell, flexibel, einfach, Radmitnahme und Wifi sind selbstverständlich, keine Zukunftsmusik.
Hamburgs Politiker sollten eine Reise in die Öresundregion machen und selbst einmal auf Entdeckungs- und Erweckungtour gehen. Hier gibt es alles geballt auf engem Raum, hier wird sichtbar, woran es in Deutschland mangelt: Der Einsicht, dass es ohne eine Einschränkung des Individualverkehrs nicht geht. Dass gute Verkehre, sprich der Umweltverbund – Radfahrer, Fußgänger und ÖPNV – nur als tatsächlich im Zusammenhang gedachte Einheit ihre volle Wirkung entfalten können.
Wie das geht, darüber hat Jan Gehl ganz aktuell in Zusammenarbeit mit GREENPEACE eine sehr einleuchtende Broschüre herausgebracht: „Rollenwechsel – Konzept für eine neue Mobilität in Städten“ [PDF Download]. Gerade mal 21 Seiten braucht es – reich bebildert, illustriert und mit Fakten gefüllt -, um anzufangen, Stadt umzubauen.
Hamburg, Sommer 2016. Die HVV-Preise sollen wieder steigen, wie jedes Jahr, seit 2012 ging’s beinahe um satte 13 Prozent nach oben [„HVV-Tickets sollen wieder teurer werden“, NDR.de, 10.08.2016]. Verbannung der rußenden Dieselschleudern aus der Innenstadt? Vergiss es, die blaue Plakette wird’s nicht geben [„Kennzeichnung für Dieselautos: Umweltministerium zieht Pläne für Blaue Plakette zurück“, SPIEGEL ONLINE, 10.08.2016].
Ach ja, und Bürgermeister Olaf Scholz sagt, dass es mit ihm keine Fahrverbote von abgasskandalgeplagten Diesel-PKWs geben wird [„Unsozial, Olaf Scholz schließt Fahrverbote in Hamburg aus“, Hamburger Abendblatt, 05.08.2016]. Das sei unsozial und darum mit ihm nicht zu machen. Unsozial ist dabei aber genau das – nichts zu tun. Scholz sagt auch immer wieder, dass nichts zu Lasten des Autoverkehrs geschehen dürfe – schließlich solle niemand ausgeschlossen werden. Herr Bürgermeister Scholz, sollten Sie dies hier lesen, beantworten Sie doch bitte mal eine einzige Frage:
„Meinen Sie wirklich, dass die Städte in der Öresundregion Menschen von individueller Mobilität ausschließen?“
Zum Schluss kurz in eigener Sache:
Es ist ruhig geworden in letzter Zeit auf „Osterstraße autofrei!“. Hinter den Kulissen ist aber viel passiert. Nach der Sommerpause geht’s wieder rund! Freut euch auf jede Menge frischen Wind für diese Stadt.
Wir werden den Hamburger Umbau demnächst auch an der Gärtnerstraße/Osterstraße großräumig erleben können. Ziele: Busbeschleunigung ermöglichen und barrierefreien Zugang in Busse. Letzteres ist auch wichtig. Über Ersteres kann man sich streiten wenn das Gesamtkonzept vermisst wird. Aber vermutlich war es das dann auch wieder. Maximal noch wieder gepinselte Fahrradspur auf der Straße? Wohl auf keinen Fall Wegnahme einer Fahrspur vom motorisierten Individualverkehr zugunsten von Bus oder Rad. Und bestimmt keine Temporeduzierung, damit das gefahrlose Queren der Straße für Fußgänger an vielen Stellen z.B. am Hamburg-Haus möglich wird…
Stattdessen „rasen“ demnächst Busse mit PKW & Co. um die Wette von einer roten Ampel zur nächsten. Kreiselverkehre? Insgesamt Rücknahme von Geschwindigkeiten zugunsten eines ruhigeren und zuverlässigeren Verkehrsflusses? Abgetrennte geschützte Radwege?
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