Von Bergedorf lernen – autofrei und mehr Kunden

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Nur durch Zufall bin ich jetzt auf Bergedorf gekommen – dem Unwetter am Sonntag sei Dank! Aber was ich sah, hat mich sofort fasziniert. Darum bin ich heute noch einmal nach Bergedorf gefahren, um die dortige Innenstadt und vor allem die Straßen Weidenbaumsweg, Alte Holstenstraße und das Sachsentor genauer unter die Lupe zu nehmen.

Über 30°C und die Sonne knallt, als ich aus dem S-Bahnhof komme und geradewegs in den Weidenbaumsweg komme. Viel Platz, links kleine Läden, rechts noch das BCC – das Bergedorfer City Center. Fahrräder sind hier auch auf der Fußgängerzone erlaubt.
Wandert man weiter, gelangt man an den Serrahn-Hafen, von dort links herum auf die Alte Holstenstraße. Diese breite Straße –  autofrei! – ist mit Kopfsteinen gepflastert, nur der Radweg ist geteert. Auch hier: Kleine Läden, kaum Filialen.

Die Vierlandenstraße quert hier die Zone, hier beginnt nun das Sachsentor. Die Straße ist deutlich enger als die beiden vorherigen und auch als es die Osterstraße ist, darum sind Fahrräder tagsüber nicht erlaubt. Schöne, einladende Gastronomie fällt sofort ins Auge, die Straße ist stark von Fußgängern frequentiert. 400 Meter lang ist die Zone, gesäumt von kleinen Läden ebenso wie von Filialen, sicher ein guter Mix. Auch die Zuwege rechts und links des Sachentores sind autofrei.

bergedorf city karte
Open-Street-Map: Bergedorfs Innenstadt – ein autofreies Eldorado (Gelbe Flächen = autofrei)

Bereits am Sonntag erfuhr ich, dass es diese autofreie Zone schon ewig lange gibt.  1970 wurde sie eingerichtet und war nach der Spitalerstraße die zweite Fußgängerzone in Hamburg. Eine ältere Dame berichtete, dass es eigentlich alles ganz toll sei, nur abends oder nachts wäre hier nichts los, weil fast niemand hier wohnen würde – ein Fakt, der an der Osterstraße so nicht zutreffen würde.

Heute allerdings bin ich die Läden. Ganz bewusst habe ich einen großen Bogen um die Filialen gemacht und habe etwa 10 – 12 kleine und mittelgroße Inhaber geführte Geschäfte ausgesucht und jeweils nach der Chefin bzw. dem Chef gefragt – ganz genau so, wie ich es auch an der Osterstraße vielfach getan habe.
Die Inhaber und manchmal auch langjährig Angestellte haben gerne und bereitwillig Auskunft gegeben und von ihren Erfahrungen berichtet. Dabei besuchte ich mehrere Modegeschäfte, eine Buchhandlung, ein Weingeschäft, einen Schreibwarenladen, Apotheken und eine Arztpraxis.

„Hallo, ich würde gerne mal mit Ihnen über Ihr Geschäft an der Fußgängerzone reden.“
– verwunderte, fragende Blicke –
Dann fragte ich im Großen und Ganzen überall das selbe.
„Sie haben ihr Geschäft an einer Fußgängerzone, sind Sie zufrieden, so, wie es ist?“
„Ja!“
„Sie würden sich nicht wünschen, dass man die Straße wieder für Autos befahrbar machen sollte, damit diese direkt vorm Laden parken können?“
„Nein!“, „Um Gottes Willen, bloß nicht!“, „Auf gar keinen Fall!“
„Haben Sie eigene Parkplätze?“
„Nein“ (bis auf ein Geschäft, welches auf der Rückseite ein paar Parkplätze besitzt)
„Wo parken Ihre Kunden dann?“
„Es gibt genug Parkplätze rechts und links, auch in den Parkhäusern.“
„Angenommen, Autos dürften hier wieder fahren, glauben Sie, der Umsatz würde dann steigen?“
„Nö!“ „Dann würden die Leute ja gar nicht mehr richtig bummeln und flanieren können, es würden wahrscheinlich weniger Kunden kommen.“

Man glaubt es nicht, aber es haben tatsächlich alle Ladeninhaber Ihre Zone als einen klasse Standort beschrieben und keiner, NIEMAND wünschte sich die Autos zurück. Das glatte Gegenteil von dem, was ich in Eimsbüttel an Meinungen zu hören bekam.

Wundert das? Nein. Auch in Bergedorf gab es damals Kritik. Die gibt es offenbar überall, wo Veränderungen angestrebt werden. Sobald die Vorteile zu sehen, spüren und zu fassen sind, ändert sich die Meinung offenbar rapide. Das ist wunderbar auch in der  “Reclaiming city streets for people” [5,9 MB, PDF Download] Publikation der EU Kommission von 2004 genauso und sehr anschaulich dokumentiert. Darauf werde ich nochmal gesondert eingehen.

Und die Osterstraße? Ich kam wieder aus der U-Bahn raus, Lärm, Abgase und Gedränge waren das Gewohnte Bild, welches meinen Bergedorf-Trip im Nachhinein wie Urlaub erschienen ließ.

Also: Think big – klotzen, nicht kleckern! Lasst uns Eimsbüttel endlich mal als das sehen, was ist ist: Ein wirklich schönes und vor allem liebenswürdiges Viertel mitten in Hamburg. Lasst uns frei machen von dem Gedanken, die Osterstraße friste nur eine Daseinsberechtigung im Schatten von City’s Gnaden.
Schluss damit! So ist es nicht.
Lasst uns das Quartier Osterstraße endlich mal als eine Alternative verstehen: Hier könnte sich der Erfolg von Bergedorf wiederholen. Hierher kommen Menschen zum Einkaufen, die Lust auf Bummeln und flanieren und genießen jenseits der megafilialmäßigen Massenabfertigung in der Innenstadt haben. Die Osterstraße ist perfekt angebunden an den HVV. Knapp 60.000 Menschen wohnen keine wenige Fußminuten entfernt. Eine autofreie Osterstraße, auf der man sich wohlfühlt, würde in Teile Altonas, der Schanze, Hoheluft, Eppendorf, Lokstedt, Stellingen und Bahrenfelds hinaus strahlen und Kunden anlocken. Lasst uns endlich lernen von anderen. Von Hamburgern. Nicht immer nur jammern!

Link: Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt – „Das Sachsentor“

Link: Sachsentor – Bergedorf alte Hauptstraße [PDF Download, 570KB]

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